Kritik und Zukunft der psychedelischen Bewegung. Selbsterfahrung, Therapie, Forschung, Kunst und der öffentlichen Raum
Es gibt sie noch – oder wieder – die „psychedelische Bewegung“. Wo will sie hin, wie könnte sie sich in den nächsten Jahrzehnten weiterentwickeln? Besitzt sie das Potential sich zu organisieren und gar einen Beitrag zur Lösung der aktuellen Menschheitsprobleme zu leisten, wie viele ihrer Protagonisten behaupten? Wenn ja, wie viel Mainstream will und kann diese Bewegung werden?
Anders als in den 1960er Jahren versteht sie sich nur noch in Teilen als eine kulturrevolutionäre Reformbewegung. Vielmehr ist sie pluralistisch geworden, reicht in weite Teile der westlichen, einen Teil der globalen Gesellschaft und vereint widersprüchlichste Tendenzen in sich. Neben einer ausdifferenzierten Party- und Festivalkultur besteht sie aus gegensätzlichen psychotherapeutischen Strömungen, die auch Selbstbehandler und Psychonauten auf der ganzen Welt inspirieren; es gibt eine kleine, aber weltweit vernetzte Wissenschaftsszene; eine weit gefächerte Lebenshilfe- und Weltanschauungsliteratur, die auch esoterische, mystische, queere und philosophisch angehauchte Spiritualitäten befeuert; daneben finden sich in den letzten zwanzig Jahren verstärkt neo-religiöse Tendenzen, die traditionelle Formen der Gemeinschaftsbildung und Identitätspolitik nutzen (die Kirche, den Guru, den Heiler, das Schamanismus-Konzept); diverse Kunstformen werden durch die psychedelische Erfahrung oder Tradition inspiriert – mit noch immer starkem Einfluss der Ästhetik der 1960er Jahre. Und es finden sich natürlich Verschwörungstheoretiker, Eskapisten und Ökologen, nicht selten aber auch (prä- oder post)psychotische Individuen, die Einfluss auf die Entwicklung der psychedelischen Sache nehmen. Welcher Sache eigentlich?
In diesem Vortrag geht es mir darum, (1) Kernthemen der psychedelischen Bewegung seit den 1960er Jahren herauszuarbeiten und innere Widersprüche aufzudecken, die deren Weiterentwicklung bremsen, (2) eine nicht immer ganz ernstgemeinte Typologie von Persönlichkeit der psychedelischen Szene zu entwickeln, um die Vielfalt der Denkweisen und Zugänge im psychedelischen Feld besser zu verstehen, (3) einige Vorschläge zu machen, wie die Weiterentwicklung der psychedelischen Bewegung in Deutschland und weltweit gestaltet werden könnte.
Dabei glaubt der Autor nicht an eine „entheoscience“, sondern meint, dass die Wissenschaften pluralistisch und vielfältig genug sind, um die faszinierenden subjektiven und gesellschaftlichen Phänomene rund um den Gebrauch von Psychedelika zu beschreiben, zu evaluieren, zu kritisieren (κριτική [τέχνη] (kritikē [téchnē]: [unter-]scheiden‘, ‚trennen‘). Es braucht einfach mehr Humor, Methodik und Geld. Ach so: und Nüchternheit.